Christian Olding ist katholischer Kaplan und Buchautor. Warum er von seiner Kirche mehr Klartext in Glaubensfragen fordert, warum Glauben auch harte Arbeit bedeutet und wie er persönlich mit Zweifeln umgeht, erzählt er im Gespräch mit glaubenslektuere.de.
Das Interview führte Tobias Rauser
Herr Olding, der Untertitel Ihres neuen Buches lautet „Glauben ohne Geschwätz“. Wer schwätzt Ihrer Meinung nach zuviel in Glaubensfragen?
Christian Olding: Ich beziehe das auf die kirchliche Verkündigung. Hier geht es mir viel zu oft um Struktur, Moral- und Formfragen, die den Blick auf das Eigentliche verstellen. Wir in der Kirche konzentrieren uns oft nicht auf das Wesentliche – und das muss sich ändern.
Geht es um die Themen oder um die Sprache?
Beides, Sprache und Inhalt. Sprache dann, wenn sie nicht auf den Punkt bringt, worum es geht im Glauben. Inhaltlich sollte es weniger um Moral- und Formfragen gehen, sondern um die Beziehung des Menschen zu Gott. Die Kirche muss wieder als glaubwürdiger Ansprechpartner für Glaubens- und Sinnfragen ernst genommen werden. Das ist leider in vielen Teilen der Gesellschaft nicht mehr so.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir sollten klar benennen, was es bedeutet, ein Jünger Jesu zu sein. Wenn ich eine Beziehung zu Jesus eingehe, dann hat das Folgen für meinen Lebensstil. Und dann komme ich auch an der Bibel nicht vorbei.
Das klingt nach Arbeit.
Ja, das ist so. Ich kann Menschen nicht ersparen, dass sie dieses Buch aufschlagen. Wenn ein Christ nicht möchte, dass ihm andere etwas vorgeben, dann muss er sich aufraffen und sich mit den Lehren Jesu beschäftigen. Er muss sich damit konfrontieren, was das für sein Leben bedeutet. Dass das nicht einfach ist, ist mir klar. Aber ich komme um wichtige Fragen nicht herum: Was bedeutet Christ sein für mich am Arbeitsplatz? Was für meinen Einkauf? Was für meine Beziehung?
Kommt das alles ohne Regeln und Vorgaben durch die Kirche aus?
Die Regeln gibt nicht die Kirche vor, es geht um die Richtlinien, die Jesus uns mitgegeben hat. Die Regeln sollten nie im Vordergrund stehen. Es geht schließlich zu allererst darum, die Liebe Gottes an sich heranzulassen. Sich darüber klar zu werden, dass man mit Sinn und Verstand von Gott in dieser Welt gewollt ist. Wenn ich das angenommen habe, kann ich mir ganz persönlich darüber Gedanken machen, was das für mein Leben bedeutet und wie ich es nach Jesu Vorbild gestalte.
Neben einer Klarheit der Sprache und einer Fokussierung auf die Botschaft des Evangeliums geht es Ihnen auch um eine moderne Vermittlung eben dieser. In Ihren Gottesdiensten geht es etwas bunter zu. Was ist Ihnen in diesem Zusammenhang wichtig?
Es geht um eine Ästhetik, die der Zeit entspricht. Wir als Kirche haben über Jahrhunderte große Liturgien geschaffen, erfolgreich einen Fokus auf die Inszenierung gelegt. Darauf dürfen wir uns nicht ausruhen und müssen uns umschauen, was heute up-to-date ist. Warum sollten wir moderne Mittel, wie sie etwa auf Festivals erfolgreich sind, nicht auch im Gottesdienst nutzen?
Im Begleittext Ihres neuen Buches werden Sie „Pop“-Kaplan genannt. Gefällt Ihnen der Begriff?
Ich kann über den Begriff schmunzeln und kenne auch den Hintergrund der Entstehung. Es ging darum, dass ich die Populär-Kultur nutze, um modernere Formen des Gottesdienstes zu entwickeln. Dazu stehe ich und deswegen habe ich auch kein Problem mit diesem Titel.
Was entgegnen Sie denen, die „mehr Show als Inhalt“ rufen?
Es geht nicht um Effekte, sondern ich will die Leute abholen. Und die Kritiker haben Recht, es gibt auch genug Beispiele, wo die Klarheit der Botschaft vor lauter Effekten verloren geht. Aber ich kann jeden Abend nach meinem Gottesdienst ruhigen Gewissens ins Bett gehen. Ich überprüfe mich ständig und bin mir sicher, einen richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Wenn das nicht mehr so ist, dann werde ich aufhören mit dieser Art, Gottesdienst zu feiern.
Viele Menschen erreichen Sie als Kaplan und als Kirche allgemein kaum noch. Im Alltag, in den Gesprächen am Mittagstisch und in der Familie, findet Glauben und Kirche mal abgesehen von Missbrauchsskandalen und Kirchensteuerfragen kaum noch statt. Wie wollen Sie das ändern? Wie könnte ein „moderner“ Zugang zu diesen Menschen gelingen?
Ja, der Analyse stimme ich zu. Glaubensfragen finden im Alltag nicht mehr statt. Über diese Frage müssen wir als Kirche intensiver nachdenken. Ein Beispiel, mit dem wir bei uns in der Gemeinde versuchen, das zu ändern: „GODatDINNER“. Wir lassen uns quasi buchen und kommen nach Hause an den Esstisch. Der Gastgeber lädt Freunde ein, organisiert das Essen und nennt uns ein Glaubensthema. Wir kommen gerne und bringen geistigen Input zum Thema. Wir müssen die Leute ernst nehmen, mit ihren Fragen und den Dingen, die sie im Alltag beschäftigen.
Zum Abschluss würde ich gerne noch auf Ihre Biographie zu sprechen kommen. Sie haben im Alter von 13 Jahren Ihren Vater durch Suizid verloren. Wie schafft man es, in einer solchen Phase den Glauben nicht zu verlieren?
Als junger Mensch war ich in dieser Situation verloren, war allein und wusste nicht mehr weiter. Meine Probleme und mein Schmerz saßen tief und auch erste Versuche, mich daraus mit Gebeten und Kerzen vor dem Marienbild zu befreien, schlugen fehl. Aber das Kreuz in der Kirche, der Anblick des gekreuzigten Jesu hat mich im Tiefsten berührt. Ich fühlte mich damals im Stich gelassen von meinem Vater, genau wie dieser Jesus. Ich konnte das Leiden am Kreuz in diesem Moment nachvollziehen. Da hatte ich das Gefühl: Ich bin nicht mehr allein, ich muss das alles nicht alleine aushalten. Jesus weiß, wie es mir grad geht. In dieser Kirche, vor dem Kreuz hatte ich fortan meinen Platz gefunden, wo ich so sein konnte, wie ich bin. Das ist die Grundlage meines Glaubens und Zweifelns, noch heute.
Wie gehen Sie heute mit Zweifeln im Glauben um?
Natürlich zweifele ich auch heute. Wenn ich ein Kind begrabe, dann frage ich mich immer wieder: Was soll das, Gott? Warum?
Mit wem machen Sie diese Zweifel aus? Haben Sie als Priester eine Person, der Sie sich anvertrauen können, und reicht das Zwiegespräch im Gebet mit Gott?
Ich habe eine geistliche Begleitung, die ich alle sechs Wochen treffe. Dieser Kapuziner-Pater kennt mich lange, weiß um meine Schwachstellen. Mit ihm schaue ich ehrlich auf meinen Weg in dieser Welt, meinen Weg mit Gott. Jeder braucht Ratgeber und einen Vertrauten, mit dem er über seine Probleme und Zweifel sprechen kann.