Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler, Publizist und Autor. Er befasst sich seit vielen Jahren mit aktuellen Fragen aus Kirche, Politik und Gesellschaft. Im Gespräch mit glaubenslektuere.de spricht der Katholik über seinen persönlichen Glauben, die Bedeutung des Glaubens für seine Arbeit und den Umgang mit Zweifeln.
Das Interview führte Tobias Rauser
Herr Püttmann, Sie haben sich in Ihrem Leben ausführlich mit Kirche, Politik und Gesellschaft auseinandergesetzt. An was glauben Sie?
Ich glaube an Gott, wie ihn uns die große christliche Tradition überliefert hat: Als Vater, der uns nach seinem Bilde wunderbar erschuf und der unsere durch die Sünde verletzte Würde in Jesus Christus „noch wunderbarer wieder hergestellt“ hat, wie es im Tagesgebet der Weihnachtsmesse heißt. Ich glaube an den „Deus semper maior“, den wir stets größer denken sollen als all unsere Vorstellungen von Ihm und Seinem Willen. „So hoch wie der Himmel über der Erde ist, so hoch sind meine Gedanken über eure Gedanken und meine Wege über eure Wege“, spricht Gott durch den Propheten Jesaja. Ich glaube an die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Kirche, trotz ihrer historischen Abwege und mancher Antizeugnisse ihres Personals. Zu meinem katholischen Glauben gehört auch die Mutter Gottes als „Trösterin der Betrübten“, wie wir sie in unserem niederrheinischen Wallfahrtsort Kevelaer verehren, und die große Schar der Heiligen, die uns die mögliche Überbietung unserer menschlichen Schwachheit und Kleingläubigkeit durch die Kraft Gottes ermutigend vor Augen führt.
Wie hat sich dieser Glaube im Laufe der Jahre entwickelt und verändert?
Er war früher für mich mehr ein System nicht weiter hinterfragter metaphysischer Wahrheiten, die es zu verkünden und zu verteidigen gilt. Heute bin ich demütiger, nicht zuletzt aufgrund irritierender, teilweise gar bestürzender Erfahrungen mit manchen betont Rechtgläubigen, die sich schließlich doch nur als „getünchte Gräber“ (Mt 23,27) erwiesen. Papst Franziskus hat diesen Typus trefflich charakterisiert in Evangelii Gaudium Ziffer 93-97 („Nein zur spirituellen Weltlichkeit“). Diese Stelle wurde mir zum hermeneutischen Schlüssel für das Verstörende, das ich besonders im rechtskatholischen Milieu erlebte. Mein Gottesbild ist dadurch christozentrischer und anthropozentrischer geworden: „Was ihr für den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan“, sagt Jesus. Manche doktrinäre Großmäuligkeit erscheint mir heute nur noch „wie ein tönendes Erz und eine klingende Schelle“ (1 Kor 13).
Können Sie ein Beispiel nennen?
Diejenigen, die sich etwa gegen meinen Erzbischof ereiferten, weil er das Messopfer an Fronleichnam 2016 auf einem Flüchtlingsboot darbrachte, haben nicht verstanden, dass wir in der leidenden Kreatur dem Herrn selbst begegnen. Meine Weltanschauung kann deshalb nur ein christlicher Humanismus sein. Als Politologe ist der Schutz der Menschenwürde durch Artikel 1 unserer Verfassung für mich „verwirklichter Glaube“, so Bischof Joachim Reinelt 1991. Darum bekämpfe ich die Versuche der radikalen Rechten, unser Gemeinwesen auf ein anderes, kollektivistisches Fundament von „Volksgemeinschaft“ zu stellen.
Mit wem sprechen Sie über Glaube und Zweifel, Sinn und Unsinn im Leben?
Mit meinen Freunden und allen, die nach der Hoffnung fragen, die mich bewegt. Ein Jesuit ist mir dabei besonders wichtig geworden.
Ist persönlicher Glaube und der Zugang zu solchen Fragen wichtig, wenn man über Glaubens- und Kirchenfragen schreibt?
Ja, sonst würde ich mir ja vorkommen wie ein Blinder, der über Farben schreibt. Hinsichtlich der kirchlichen Wirklichkeit muss man allerdings die weltlichen Beigaben als solche erkennen und schonungslos analysieren. Bei aller Liebe und Loyalität zur Kirche dürfen wir nie vergessen, dass auch mit „Teufels Beitrag“ zu rechnen ist. Davor hat nicht zuletzt Benedikt XVI. gewarnt: Es ist falsch, das Böse immer nur von außerhalb der Kirche kommend zu erwarten. Es ist auch in ihrem Inneren virulent. Vor dem Diabolos, dem großen „Durcheinanderwerfer, Verwirrer, Verleumder“ muss man sich hüten. Da bin ich sehr traditionell, wie Papst Franziskus. Bezeichnenderweise sind jene „Rechtsgläubigen“, die ich als politisch-ethisch verwirrt erlebe, auch sehr eifrig im Verleumden.
Wenn Sie als Publizist oder Politikwissenschaftler in eine Analyse gehen, wie schwer fällt es da, den persönlichen Glauben herauszuhalten?
Es ist eine Frage intellektueller Selbstdisziplin, die Wirklichkeitswahrnehmung und die sachwissenschaftliche Analyse von der – subjektiveren – normativen Wertreflexion zu unterscheiden. Die in der deutschen Geistesgeschichte verbreitete Devise: „Wenn meine Ideen nicht zur Wirklichkeit passen – Pech für die Wirklichkeit!“ ist brandgefährlich. Man darf kognitive Dissonanzen nicht einfach zugunsten seines Vorurteils oder seiner Wünsche auflösen und Störendes aus seinem Bild von den Dingen wegretouchieren.
Erleben Sie das häufig im kirchlichen Umfeld?
Ja, das ist leider auch in einem gewissen kirchlichen Milieu verbreitet. „Verletzt man die Grundsätze der Vernunft, dann wird unsere Religion abgeschmackt und lächerlich“, warnte schon Blaise Pascal. Mir hilft ein Faible für die empirische Sozialforschung, auch die kirchliche Wirklichkeit erstmal als solche zu sehen und zu akzeptieren. Demoskopie lehrt viel über die Menschen und auch über die Sozialpsychologie religiösen Lebens. Das habe ich allerdings seit meiner Dissertation über „Zivilen Ungehorsam und christliche Bürgerloyalität“ stets mit normativen Überlegungen verbunden, in die dann natürlich auch mein Glaube einfloss.
Hat Ihre Arbeit Ihren Glauben verändert?
Die wissenschaftliche Entdeckung, dass kirchennahe Christen tatsächlich etwas anders „ticken“ als ihre nichtgläubigen Mitmenschen und wohl auch ihr Handeln stärker an Geboten und Verboten ausrichten als nur am eigenen Interesse, hat meinen Glauben verstandesmäßig gestärkt. Also doch ein Schimmer vom „Licht der Welt“ und ein Geschmack vom „Salz der Erde“! Es kann doch nur ein guter Baum sein, der gute Früchte trägt (Mt 7,17). Ohne diese Entdeckung hätten krasse Negativbeispiele einer „Pathologie der Religion“ in meinem persönlichen Umfeld meinen Glauben eher erschüttern können.
Gibt es ein auch eine negative Erfahrung, die Ihnen spontan einfällt?
Eine konkrete journalistische Recherche hat mich auch religiös reifen lassen. Bei einem konservativ-katholischen Glaubenskongress hatte eine umjubelte TV-Prominente, wie ich herausfand, breit (aber ohne Quellenangabe) aus der Gralsbotschaft: „Im Lichte der Wahrheit“ zitiert und dies als „das Beste, was ich gefunden habe“, angepriesen. Ich durfte meine Entdeckung aber nicht in einem katholischen Blatt veröffentlichen, damit, wie mir der Chefredakteur schrieb, das begeisterte Publikum nicht „wie katholische Tölpel“ aussah. Zensur und Vertuschung also. Wo Journalismus durch Propaganda und „gelenkte Öffentlichkeit“ ersetzt wird, ist man von jener „totalen Redlichkeit“, die Benedikt XVI. einer entweltlichten Kirche empfahl, weit entfernt. Von dieser Art Schaufenster- und Paradekatholizismus habe ich mich folglich distanziert.
Wie gehen Sie persönlich mit Glaubenszweifeln um?
Erstens stütze ich mich auf das Glaubenszeugnis anderer, auf die lange christliche Tradition mit ihren eindrucksvollen Vorbildern an Glaube, Hoffnung und Liebe. Zweitens erinnere ich mich an die außergewöhnlichen Momente, in denen ich Gottes Gegenwart und Zuwendung auf eine unerwartete, direkte Weise erfahren durfte, die ich nur als Gnade bezeichnen kann.
Was war ein solcher Moment?
Das war in einer Zeit schwerer Krankheit, die mich total aus der Bahn geworfen hatte. Damals begleitete mich eine evangelische Christin, die mir ein Priester vermittelt hatte. Manches aus unseren Gesprächen habe ich sofort, anderes erst später verstanden und bestätigt gefunden. „Der Mensch denkt, Gott lenkt“: Wir machen Pläne für unser Leben, aber ER ist immer für eine Überraschung gut. Wir bitten, ER erhört – aber manchmal auf ganz andere Weise, als wir uns das vorgestellt haben.