Der Weg zur Ökumene ist holprig und lang . Eine ökumenische Perspektive will Walter Kardinal Kasper in seinem Buch „Martin Luther“ aufzeigen. In einem anschaulichen und entschiedenen Aufsatz setzt sich der Katholik Kasper mit dem Reformer Luther auseinander und zeigt auf, wie Ökumene gelingen kann.
Eine Rezension von Tobias Rauser
Vor dem Lutherjahr 2017 war die Hoffnung groß, das Reformationsjubiläum würde die beiden großen christlichen Kirchen in der Ökumene einander näher bringen. Einen Beitrag für eine ökumenische Perspektive wollte auch das Buch von Walter Kardinal Kasper liefern, seines Zeichens emeritierter Kurienkardinal und ehemaliger Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.
Kasper, Jahrgang 1933 und Autor des vielbeachteten Buches „Barmherzigkeit“, gelingt es, in seinem kurzen Aufsatz, der auf einem Vortrag an der Humbold-Uni in Berlin basiert, einen ausgewogenen und anspornenden Text zu Martin Luther und Ökumene vorzulegen. Der Kardinal beschäftigt sich in seinem Buch mit Person und Werk Luthers und ordnet dies dann in die aktuelle Situation beider Kirchen und der Ökumene ein. „Viele Christen erwarten zu Recht, dass das Gedenken von 500 Jahren Reformation im Jahr 2017 uns ökumenisch einen Schritt dem Ziel der Einheit näherbringen werde“, schreibt Kasper im ersten Kapitel. Für ihn scheint dieser Anspruch auch zu gelten, denn er formuliert: „Wir dürfen diese Erwartung nicht enttäuschen.“
Nach dem spannenden Rückblick in die Geschichte der Reformation und seiner Wertung der Ereignisse rund um die Person Luthers und die Kirchenspaltung kommt der Autor auf die Ökumene im Hier und Jetzt zu sprechen. Für ihn ist das konfessionelle Zeitalter 1918, mit dem Ende der Monarchie, zu Ende gegangen. In einer pluralistischen Gesellschaft, in der sich konfessionelle Milieus auflösen, sind „konfessionelle Kontroversen für viele evangelische wie katholische Christen irrelevant geworden“. Aus dieser erfrischend klaren und realitätsnahen Einschätzung folgert der katholische Würdenträger, dass es Zeit ist, Ökumene entstehen zu lassen. Für ihn bedeutet Ökumene „im Unterschied zum konfessionalistisch verengten Katholizismus und Protestantismus die Wiederentdeckung der ursprünglichen, nicht konfessionalistisch verengten Katholizität“.
Aus den Burgen in die Realität
Für ihn steht schon jetzt fest: Die Kirchen haben ihre konfessionskirchliche „Selbstbezüglichkeit“ überwunden und ihr Christsein neu und tiefer verstehen gelernt. Die Frage ist nun, wie die trennenden Unterschiedeim Verständnis von Kirche und Kirchenamt überwinden werden können. Und hier liegt der Knackpunkt: Laut Kasper sind sich beide Kirchen zwar einig, dass die Einheit das Ziel sein soll. Doch worin die Einheit besteht, das ist offen. „Es fehlt an einer gemeinsamen ökumenischen Vision“, sagt Walter Kardinal Kasper. Man fühle sich zu sicher in seiner eigenen konfessionellen Kirchenburg – obwohl die alten Wälle in der Realität längst verfallen und die Menschen, die einmal in der Burg lebten, „mehrheitlich längst woanders sind“. Für ihn hilft da nur: aufeinander zugehen.
Doch wie soll dieses Aufeinanderzugehen in der Praxis gelingen? Vor allem mit dem Herzen, weniger mit dem Kopf, sagt Kasper. Wichtig sei, den Fokus auf das ursprüngliche Grundanliegen Luthers zu legen – das „Evangelium von der Gnade und Barmherzigkeit und der Ruf zu Umkehr und Erneuerung“. Wenn dies in den Mittelpunkt gerückt werde, dann sei der Weg zur vollen Einheit offen. Dass das alles Zeit braucht – und auch den Geist Gottes -, das ist Kasper klar. Aber er glaubt, dass dieser Weg möglich, notwendig und vor allem für die Christen eine Chance ist.
Die Sprache des Büchleins ist zwar durchaus anspruchsvoll, aber dennoch immer und überall verständlich und greifbar, auch für Nicht-Theologen und Nicht-Experten.
Nach der Lektüre hat der Leser klar das Bild vor Augen, das Kasper von der Ökumene zeichnet: Nämlich, dass beide Kirchen durch die Ökumene bereichert werden. Und dass auf der anderen Seite das gemeinsame Ziel noch ausgestaltet werden muss. Die Vision fehlt.
Walter Kardinal Kasper findet erfrischend offene, realitätsnahe und glaubwürdige Worte für den Prozess der Ökumene. Und er macht auf Hoffnung, dass sie trotz aller Schwierigkeiten gelingen kann. Die Ökumene ist ein Prozess, der existenziell für die Kirchen ist – da sie es sich aus seiner Sicht gar nicht leisten können, gegen- oder nebeneinander zu stehen. Die Klarheit und Ehrlichkeit in der Analyse sowie das aufmunternde Eintreten für ein gemeinsames Zeugnis beider Kirchen beeindruckt und macht den Aufsatz für jeden, der sich für das Thema begeistern kann, zu einer Pflichtlektüre.