Ist der Zweifel ein Freund oder ein Feind des Glaubens? Marinus Parzinger ist Kapuziner und lebt in Altötting. Im Interview spricht der Ordensmann über die Konfrontation mit der Realität, die Güte Gottes und persönliche Ohnmacht.
Bruder Marinus, zweifeln Sie manchmal an der Existenz Gottes?
Ich habe noch nie grundsätzlich und radikal an Gottes Existenz gezweifelt. Allerdings stelle ich mir immer wieder die Frage, wie Gott denn so ist und wie er wirkt? Wenn ich Menschen sehe, denen es sehr schlecht geht, dann stelle ich mir schon die Frage: Wo ist Gott in dieser Situation? Da kann ich mich sehr gut in Menschen hineinversetzen, wenn sie klagen und zweifeln.
Setzen Sie aktiv mit Zweiflern und Zweifeln auseinander?
Auf jeden Fall. Ich habe mich beispielsweise im Studium mit Nietzsche befasst. Ich habe keine Angst, mich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Aber die Befassung mit dem Zweifel darf auch kein Selbstzweck sein. Als junger Student hat mich einmal Dozent bei diesem Drang ausgebremst mit dem Hinweis: „Bis Sie das lesen, würde ich noch etwas warten.“ Da war ich sehr überrascht. Aber vielleicht lag der Dozent von damals richtig: Es gibt gute und schlechte Zeitpunkte, sich mit Zweifeln zu beschäftigen.
Gibt es konkrete Situationen, in der Sie mit sich und Gott gerungen haben?
Es geht weniger um die Frage nach der Existenz Gottes, sondern ich zweifle eher an meinem Umgang mit und meinem persönlichen Zugang zu bestimmten Themen, die an mich herangetragen werden. Oft bin ich nicht zufrieden und komme ins Zweifeln. Nach Gesprächen mit Menschen oder Brüdern frage ich mich oft: War meine Reaktion, mein Rat richtig? Bei diesen Zweifeln hilft mir Gott: Wenn ich etwa in einem Beichtgespräch keine Antwort weiß, dann bete ich zum ihm. Ich hole mir Hilfe von Gott. Ich weiß sehr oft keinen Rat und Gott ist mir dann nahe.
Ist Gott gütig?
Ich zweifle nicht an der Güte Gottes. Aber mir ist auch klar, wie diese Frage entsteht. Ich werde oft gefragt, wie gütig denn ein Gott sein kann, der seinen Sohn am Kreuz hängend sterben lässt. Ich suche hier nach verständlichen Antworten und nicht nach theologischen Ausbreitungen.
Suchen Sie die Antworten auch für sich?
Ja, natürlich. Das, was ich predige, das sind auch Antworten auf die Fragen, die ich mir stelle. Ich lese Dinge, die mich beschäftigen. Oft angeregt durch Situationen oder von Fragen, die mir gestellt werden. Nicht immer kenne ich eine adäquate Antwort und fühle mich ohnmächtig. Dann versuche ich, mich durch Lektüre und Gebet den richtigen Antworten zu nähern.
Ist Zweifel für Sie ein Freund oder Feind des Glaubens?
Ohne Zweifel geht es nicht, auch nicht in der Theologie. Das sehen wir heute stärker denn je, vor allem beim Thema Missbrauch. Wer früher eine Frage gestellt hat, der wurde als ungläubiger Thomas abgestempelt. Kirche muss ein Ort sein, in dem man sich Christus nähert. Und da darf man Zweifler nicht ausgrenzen. Es gibt ein Buch mit dem Titel: Wer glaubt, fragt. Und es ist ja auch vieles fragwürdig. Für mich stellen Glaube und Zweifel keinen Gegensatz dar.
Gilt dieser Satz immer?
Nein. Ich hätte Angst, wenn alles wegrutscht, wenn die Basis verloren geht. Alles in Frage zu stellen, kann auch gefährlich sein. Etwas Gewissheit brauche ich. Wenn die da ist, dann kann der Zweifel mich antreiben und zu einem neuen, vielleicht weniger kindlichen Glauben führen.
Sie haben als Priester eine besondere Rolle bei der Vermittlung des Glaubens.
Für mich ist vor allem wichtig, demütig und realistisch zu bleiben. Ich saß als junger Mensch manchmal in der Kirche und habe bei der Predigt einiger älterer Brüder gedacht: Was sind das für Phrasen und hohle Sprüche? Wo ist der Bezug zum Leben? Passt das zum Leben der Leute, die da in der Kirche sitzen und zuhören? Es darf nicht abgehoben werden. Wir dürfen als Priester nicht zu selbstsicher sein, dass wir immer schon die richtige Antwort haben.
Im Gebet des Heiligen Franziskus heißt es: „Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens, dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht.“ Wie geht das?
Ich kann den Glauben nicht in ein Paket packen und das dann übergeben. Was ich kann, ist meinen Glauben bezeugen. Mit jemandem beten. Dem anderen zeigen oder signalisieren, dass ihn das, was er da grade denkt, nicht ins Abseits stellt. Viele denken ja, sie hätten etwas falsch gemacht oder würden bestraft. Schmerzen und Angst sind Teil des Lebens, auch wenn wir es gerne ruhiger hätten.
Wie hat sich Ihr Umgang mit Zweifel im Laufe des Lebens verändert?
Im Studium haben mich viele Themen interessiert, aber es wurde selten konkret. Ich war nicht direkt mit Menschen konfrontiert. Das ist unterhaltsam, aber reicht nicht aus. Es wird realistischer, wenn man im Leben steht. Da lernt man im Umgang mit Menschen aus der Gemeinde, dass man nicht alles bewerten und einfach beantworten kann. Solche Begegnungen haben mich bereichert und auch bescheidener gemacht.
Sie haben vor vielen Jahren mit dem ewigen Gelübde eine Entscheidung für das Leben im Kapuziner-Orden auf ewig getroffen. Zweifeln Sie manchmal daran?
Ich habe meine Entscheidung, die in erster Linie ja Jesus gilt, nie bereut. Sie hat mein Leben bereichert. Natürlich es gibt immer Momente, in denen ich zu zweifeln beginne: an der Gemeinschaft oder an den Aufgaben, die mir anvertraut sind. Niemand kann bei einer Entscheidung vorhersehen, was passiert. Wer weiß, ob man sich nicht doch irgendwann nach einer Beziehung oder einer Familie sehnt? Eine Frau trifft, mit der man unter anderen Umständen eine Beziehung begonnen hätte? Diese Auseinandersetzungen sind aus meiner Sicht normal. Sie gehören dazu. Dadurch und auch durch die Herausforderungen, vor die mich meine Gemeinschaft stellt, kann ich mich weiterentwickeln.
Bruder Marinus, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Kapuzinerprovinz, und ist zuerst auf kapuziner.de erschienen. Die Kapuziner gehören zu den franziskanischen Orden und bilden heute – neben den Franziskanern und den Konventualen – einen der drei großen Zweige des sogenannten Ersten Ordens des hl. Franziskus von Assisi.