„Wir müssen unsere eigenen Mitglieder missionieren“ – Interview mit Erik Flügge

Erik Flügge ist Politikberater, Buchautor und Kirchenkritiker. Der Politologe hat auch einige Semester Theologie studiert und zwei Bücher zur Kirche veröffentlicht. Ein Gespräch mit glaubenslektuere.de über die Zukunft der Kirche und was sich in ihr ändern muss.

Das Interview führte Michael Cordes
Erik Flügge, Buchautor und Politikberater sowie Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Squirrel & Nuts.

Herr Flügge, Sie sind gläubig, aber Sie schreiben sehr kritisch über die katholische Kirche.

Erik Flügge: Mir geht es da wie vielen: Ich bin der Kirche eng verbunden, aber zugleich zweifelnd. Es ist beides in mir.

Sie halten mit Ihrer Kritik nicht hinter dem Berg – wie in Ihrem neuen Buch „Eine Kirche für viele“. Warum?

Meine Kritik richtet sich nicht generell gegen die Institution katholische Kirche. Ich mag sie und bin gerne Mitglied. Ich finde die Kirchensteuer gut und richtig. Was ich kritisiere sind bestimmte Sozialformen innerhalb der Kirche: Wie wir in der Kirche sprechen und kommunizieren, weil es so weltfremd und auch das Gegenteil von der Botschaft Jesu ist. Da wird Gott in Jesus Mensch und wir Menschen entwickeln dann wieder ganz viele Formen, die Gott wieder entmenschlichen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Das einfachste Beispiel ist für mich der Predigt-Ton. Den haben die meisten Prediger, die ich höre. Sie nutzen beim Sprechen über Gott Satzmelodien und Betonungen, die in der Alltagssprache nicht vorkommen. Aber ist Jesus nicht als Zimmermann auf die Erde gekommen, um ganz alltäglich Teil des Lebens zu sein?

Die fehlgeleitete Kommunikation ist nicht das Einzige, was Sie kritisieren.

Nein. Mir missfällt auch die ständige Angebotsorientierung in der katholischen Kirche. Es werden zwar immer neue Formen erschaffen, aber die erreichen zumeist nur an diejenigen, die ohnehin schon aktiv sind.

Was wäre die Alternative?

Ich würde mir wünschen, dass die Kirche weniger Angebote macht, bei denen die Mitglieder zur Kirche kommen müssen. Stattdessen würde ich einen Ansatz bevorzugen, bei dem die Kirche rausgeht, ihren Kokon verlässt und direkt auf die Menschen zugeht, sich an Kirchenmitglieder wendet, die zwar weiterhin der Kirche angehören, aber nicht mehr zu ihr kommen.

Ist das die Rückkehr zum Missionieren?

Ja. Das Missionieren ist der spannende Auftrag der Katholiken in den nächsten Jahrzehnten. Aber ich definiere diese Mission anders als andere: Ich glaube, wir müssen unsere eigenen Mitglieder missionieren. Die Aktiven in unserer Kirche müssen die Passiven ansprechen, so dass es dort wieder zu Begegnungen kommt. Langfristig kann das dafür sorgen, dass wieder mehr Menschen in der katholischen Kirche aktiv sind.

Sie machen auch Beratung für Parteien oder christliche Organisationen. Spielt dabei ihr persönlicher Glaube eine Rolle?

Ich würde es als vollkommen unprofessionell empfinden, wenn ich meinen Rat von meinem Glauben beziehungsweise meinem Zweifeln abhängig machen würde. Ich versuche mich von rationalen Einflüssen leiten zu lassen und lasse meine privaten Überzeugungen außen vor. Natürlich hat jeder Berater aufgrund seiner Herkunft seinen Stil. Aber ich muss das abstrahieren und meinen Kunden in den Fokus rücken. Deshalb arbeite ich genauso mit sehr konservativen wie mit sehr liberalen Christen zusammen.

Ihre Einschätzung als Berater: Hat die Kirche eine Zukunft oder ist sie ein Auslaufmodell?

Eine Organisation wie die katholische Kirche hat immer eine Zukunft, weil es dort immer Leute geben wird, die genau diese Sozialform schätzen, wie sie derzeit praktiziert wird. Die Zahl der Katholiken wird kleiner, aber sie ist und wird bedeutsam bleiben. Diese Kirche wird nicht untergehen. Aber die Frage ist ja: Was wird aus ihr werden? Die klassische Form, dass die katholische Kirche nahezu flächendeckend ihre Angebote wie Gottesdienste bereitstellt, das wird sich ändern.

Wie sieht dann die zukünftige Struktur der katholischen Kirche aus?

Ich halte es für am wahrscheinlichsten, dass sich geistige Zentren bilden werden, in denen der Gottesdienst gefeiert wird und zu denen viele Menschen hinreisen müssen. Das werden aber nicht mehr alle machen. Man zieht sich in kleinere Einheiten zurück und gefällt sich darin, weil alle die gleiche Meinung haben. Ich finde aber eine Volkskirche viel spannender, eine Kirche, in der man in Konfrontation steht zu anderen, die anders glauben, sich aber dennoch als Christ sehen.

Was sehen Sie als Ursache für die Passivität von 90 Prozent der Christen?

Die beiden Buchautoren Erik Flügge (Mitte) und David Holte (rechts) mit Michael Cordes von glaubenslektuere.de auf dem Deutschen Katholikentag in Münster (Foto: Olivier Dünkelmann)

Mit dieser Passivität haben nicht nur die Kirchen zu kämpfen. Viele große Gemeinschaften, angefangen von der Schrebergartenkolonie bis hin zu den Musikvereinen, leiden unter Mitgliederschwund. Deshalb ist die fehlende Beteiligung zunächst mal kein Problem, das nur die Kirchen haben. Wenn aber in den Kirchen die Menschen ausbleiben, heißt es sofort: „Oh, die Menschen sind nicht mehr gläubig.“ Das ist jedoch eine falsche Annahme. Wenn die Leute nicht mehr in den Musikverein gehen, sagt man ja auch nicht, die Leute mögen keine Musik mehr. Vielleicht funktioniert nur die Sozialform nicht. Unser Land wird mobiler, die Menschen ziehen häufiger um. Da hat man keine Lust, sich jedes Mal neu in eine Gemeinde einzuleben. Erst recht, wenn es dann noch an Offenheit mangelt. Was heute nicht mehr funktioniert ist eine klassische Gemeinde vor Ort, bei der ich die Erwartung habe, dass alle kommen und sich integrieren. Das funktioniert auch in anderen Organisationen so nicht mehr. Ist die katholische Kirche nicht bereit, sich hier zu ändern, verliert sie Mitglieder.

Wird der Kirche dieser Wandel gelingen?

Das wird lokal sehr unterschiedlich sein. Ich kenne Gemeinden, die Hausbesuche gemacht haben mit großem Erfolg und zu den Menschen gehen wie die Pfarrei St. Ursula in Oberursel. Und es gibt Gemeinden, die sitzen da, betrauern sich, dass sie immer weniger werden. Aber sie ändern auch nichts. Die werden es schwer haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Erik Flügge, geboren 1986 in Backnang, hat zunächst in Tübingen Germanistik und katholische Theologie studiert. Nach drei Jahren wechselte er von der Theologie zur Politikwissenschaft. Flügge hat die Bücher geschrieben „Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ und zusammen mit David Holte „Eine Kirche für viele statt heiligem Rest„. Mehr Informationen zu ihm auf seiner Homepage.

 

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