Gerd Theißen: Der Schatten des Galiläers – eine Erzählung über Jesus

Eine Erzählung über Jesus mit Mord und Totschlag, aber alles andere als ein „Reißer“: Das Buch „Der Schatten des Galiläers“ von Gerd Theißen schildert in erzählender Form das Auftreten Jesu und stellt Fragen, die sich die Menschen damals angesichts des provokanten Auftretens von Jesus gestellt haben, die aber auch heute nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Eine Rezension von Michael Cordes
Der Schatten des Galilaeers von Gerd Theissen

Bücher über Jesus gibt es fast wie Sand am Meer. Dieses Buch ist jedoch anders, ungewöhnlicher als viele andere, die es auf dem Markt gibt. Hier werden nicht in trockener Form wissenschaftliche Erkenntnisse aneinandergereiht, um zu dokumentieren, dass und wie Jesus gewirkt hat (oder auch nicht gewirkt hat). Noch ist es eine Wiedergabe von Geschichten aus den Evangelien mit anderen, womöglich zeitgemäßen Worten. Vielmehr erzählt hier ein evangelischer Religionswissenschaftler die Geschichte des Juden Andreas zur Zeit Jesu, der Jesus – so viel sei vorweggenommen ­– nur ein einziges Mal sieht, der aber immer wieder mit dem Wirken und Worten Jesus konfrontiert wird.

Andreas, ein Obst- und Getreidehändler aus Galiläa und vom Autor Gerd Theißen erfunden, wird von den Römern erpresst. Sie wollen ihn als Spion einsetzen. Andreas soll für sie Erkundigungen einholen. Von ihm wollen sie wissen, wie die Juden ticken und wer dieser Jesus ist, um den sich zahlreiche Gerüchte ranken. Denn sie befürchten, von den Juden und/oder Jesus könnte eine Gefahr für ihre Herrschaft in ihrer Provinz ausgehen.

Andreas begibt sich auf die Suche nach Jesus. Er stößt dabei auf Menschen, die Jesus begegnet sind und tauscht sich mit ihnen aus – darüber, was dieser Jesus für Vorstellungen hat, über seine Botschaften und die Lehre, die er verkündet. Und da Andreas immer wieder selbst in Zweifel gerät, was er von diesem Mann aus Nazareth in Galiläa halten soll, wie dessen Aussagen zusammenpassen mit seinem eigenen Glauben, führt er Gespräche mit verschiedenen Menschen aus unterschiedlichsten Schichten nicht nur über Jesus, sondern auch über den Glauben an sich, über die Unterschiede zwischen den Religionen, zwischen dem Judentum und den Glauben der Griechen und Römer an ihre Götter.

Immer wieder werden dabei auch (radikale) Aussagen von Jesus diskutiert: die Verachtung des Reichtums oder die kompromisslose Nachfolge („Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und seine Mutter, seine Frau und seine Kinder, … dann kann er nicht mein Jünger sein!“; Lukas, Kapitel 14, Vers 26).

Theißen betreibt in seinem Buch nicht nur Geschichtsunterricht, er wirft auch Fragen auf, die sich die Menschen zu Zeiten Jesu gestellt haben und die auch heute noch diskutiert werden.

Wer in dem erstmals 1986 erschienenen und mittlerweile in zahlreichen Sprachen übersetzte Buch eine spannende Abenteuergeschichte nach dem Vorbild von Ben Hur erwartet, die einen vom ersten bis zum letzten Wort packt, der wird enttäuscht werden. Das Buch hat seine Längen. Und man merkt es ihm an, dass hier kein Romanautor am Werke ist, sondern ein mittlerweile emeritierter Professor für neutestamentliche Theologie an der Universität Heidelberg. Theißen will aber auch keinen packenden Roman schreiben, weshalb er immer wieder Passagen aus der Bibel einstreut.

Für Menschen jedoch, die mehr über die Zeit erfahren wollen, in der Jesus gelebt hat, die wissen wollen warum Jesus mit seinen Worten schon damals so angeeckt ist, die sich für die Unterschiede interessieren zwischen dem Judentum der damaligen Zeit und den Aussagen, die Jesus gemacht hat, die aber eben kein wissenschaftlich historisches Buch lesen, sondern sich mehr spielerisch dieser Thematik annähern wollen, für diese Menschen ist „Der Schatten des Galiläers“ auf jeden Fall ein lohnenswerte Lektüre.

Wissenschaftler haben es gelernt, sich genau auszudrücken (zumindest die meisten unter ihnen). Wenn Theißen als Untertitel zu seinem Buch schreibt: „Historische Jesusforschung in erzählender Form“, dann kann man es nicht viel besser auf dem Punkt bringen. Wobei die Erzählung schmückendes Beiwerk ist und der historische Jesus und sein Umfeld eindeutig im Fokus stehen.

 

Gerd Theißen
Der Schatten des Galiläers, Historische Jesusforschung in erzählender Form
272 Seiten
ISBN: 978-3-579-06404-8
Gütersloher Verlagshaus
9,95 Euro

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