„Zölibat: 16 Thesen“ von Hubert Wolf

Der Zölibat ist ein Aufregerthema, nicht nur in der katholischen Kirche. Wer sachlich mitdiskutieren will, sollte die Aussagen von Hubert Wolf kennen.

Eine Rezension von Michael Cordes

„Zölibat – 16 Thesen“ von Hubert Wolf im C.H. Beck Verlag

Wer die letzten Jahrzehnte mehr oder minder regelmäßig zum Gottesdienst in der katholischen Kirche gegangen ist, der, ja, was denkt der oder die eigentlich? Ist sie oder er traurig, weil kaum noch jemand da ist? Lethargisch, weil abgestumpft (ist ja schon seit Jahren so)? Wütend (da würde man ja immerhin noch so etwas wie Leben und Aufbruchstimmung spüren)? Oder nur verzweifelt angesichts der desolaten Lage?

Auslöser für die Gefühle muss nicht nur der schwache Besuch sein. Hinzu kommt, dass die Zahl der angebotenen Gottesdienste sinkt, Kirchengemeinden zusammengelegt werden oder einige Kirchen komplett schließen. Und das liegt jetzt keinesfalls nur daran, dass immer weniger Menschen der sonntäglichen Pflicht (sie gilt ja nach wie vor für die Katholiken) nachkommen und deshalb mangels Nachfrage kein Angebot gemacht wird. Es liegt vielmehr daran, dass es keine Geistlichen mehr gibt, die eine Gemeinde betreuen und Gottesdienste feiern können.

Der Mangel an Priestern ist eklatant

Der Mangel an Priestern ist eklatant. Ein Grund dafür wird im Zölibat gesehen. Ein aktuell ja auch im Vatikan diskutiertes Thema, so zum Beispiel auf der Amazonas-Synode im Oktober 2019. Sollte es Priestern also erlaubt sein, zu heiraten? Sollte man den Zölibat aufheben, um so dem Pristermangel zumindest ein wenig zu entkräften?

Eine einfache Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Hubert Wolf hat sich in seinem Buch „Zölibat“ ausführlich mit dem Thema Zölibat befasst. Der Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster betrachtet das Thema aus unterschiedlichen Richtungen. Es ist kein Buch, dass sich vorwiegend um das Problem des Priestermangels dreht. Aber natürlich spielt dieser Mangel auch eine Rolle.

Warum sollte man den Zölibat nicht abschaffen können, wie man ihn 300 nach Christus eingeführt hat?

Wolf betrachtet den Zölibat aus mehreren Blickwinkeln, natürlich auch kirchenhistorisch. So erfährt man, dass der Zölibat erst 300 Jahre nach Christus erstmals Erwähnung fand und seine Verbreitung damals regional sehr unterschiedlich war. Unklar ist, für wen er damals galt und für wie lange. Großen Einfluss auf die Entstehung des Zölibats nahmen damals spätantike philosophische Strömungen, für die die Reinheit des Priesters im Vordergrund standen.

Diese kultische Reinheit fand dann Niederschlag in den Zölibatbestimmungen des 2. Laterankonzils von 1139. Die Debatte und Entstehung des Zölibats zeigt, dass es keinen Grund gibt, den Zölibat in Frage zu stellen, so Wolf. Warum sollte man ihn also nicht abschaffen können, wie man ihn 300 nach Christus eingeführt hat – aus mehr oder minder guten Gründen.

Es gab oder gibt aber noch weitere Gründe, warum die Kirche am Zölibat festhält. Da sind zum einen finanzielle Gründe (die heute in dieser Form womöglich keine so große Rolle mehr spielen). Damals stammten Novizen häufig aus besseren Häusern, verfügten über Besitztümer. Wenn sie dann Priester wurden und keine Nachkommen oder Frauen hatten, floss das Geld der Kirche zu – in Zeiten, in denen es keine Kirchensteuer gab, ein durchaus wichtiges Argument für den Zölibat. Zudem sollten so auch die vorhandenden Kirchengüter gesichert werden – nach weltlichen Gesichtspunkten womöglich nachvollziehbar, aber sicher nicht der Lehre Jesu entsprechend.

Der Zölibat zementiert die kirchlichen Strukturen

Ein weiterer Grund für den Zölibat gerade aus Sicht der Kirchenleitung: Er zementiert die kirchlichen Strukturen. Priester, die wie die Bischöfe sich der Ehelosigkeit verpflichten, sind leichter zu steuern, als wenn sie sich auch einer Frau und Kinder verpflichtet fühlen. Der Kirchenführung ist sich bewusst: Mit der Auflockerung des Zölibats ist der Anfang gemacht, dass an dem Absolutheitsanspruch der Kirchenführung gekratzt wird. Es sind also womöglich weniger theologischen Bedenken, die die Bischöfe und den Papst bewegen, am Zölibat festzuhalten (Wolf widerlegt diese Argumente in seinem Buch). Es besteht vielmehr die Befürchtung, die bisherigen Führungsstrukturen könnten aufgeweicht werden.

Damit könnten also machtpolitische Beweggründe eine viel wichtigere Rolle spielen, warum die Kirchenführung ein Zölibat mit Händen und Füßen verteidigt. Das schadet jedoch nicht nur ihrem Ansehen, damit handelt sie, wie Wolf darlegt, auch gegen ihre Verpflichtung aus dem zweiten vatikanischen Konzil von 1965, wonach „jeder Diözese nach Zahl und Eignung wenigstens genügend Kleriker zu Verfügung stehen, um das Gottesvolk recht zu betreuen.“ Und weiter heißt es: „Das christliche Volk hat darum das Recht, dass am Sonntag … die Eucharistie gefeiert wird.“. Da gibt es also einen eindeutigen Auftrag, den die Kirchenleitung nicht erfüllt. In Deutschland immer weniger, im Amazonasgebiet schon gar nicht.

Immerhin, in dem Abschluss-Dokument der Amazonas-Synode haben die 280 Teilnehmer für die Weihe von verheirateten Männern gestimmt. Aber, gemach: Diese Weihe gilt nur für abgelegene Gemeinden des Amazonas-Gebiets, die besonders unter Priestermangel leiden. Dort dürfen im Ausnahmefall verheiratete Männer, die zuvor ständige Diakone waren, die Aufgaben von Priestern ausführen. Aus Sicht der Kirche bedeutet dies eine Lockerung, aber durchaus keine Aufhebung des Zölibats.

Es gibt zahlreiche Ausnahmen vom Zölibat

Wolf weist in seinem Buch auf weitere, schon heute bestehende Ausnahmen vom Zölibat hin, beispielsweise von Priestern der Ostkirche, die dem Vatikan zugehören und in denen es schon immer verheiratete Priester gab, die der Vatikan toleriert hat.

Die Frage, die dem Leser des Buches und vielleicht auch beim Lesen dieser Zeilen auf den Nägeln brennt? Warum sind Ausnahmen vom Zölibat nur in ganz wenigen Fällen möglich? Und warum reagiert die Kirche erst dann, wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen ist?

Eine zufriedenstellende Antwort, die gibt es leider nicht. Wolf weist zudem darauf hin, dass mit einer Aufhebung des Zölibats nicht die Probleme der katholischen Kirche gelöst sind. Auch nicht mit der Zulassung von Frauen zum Priesteramt – ein Thema, das er ganz bewusst ausklammert in seinem Buch. Das gesamte klerikale System der katholischen Kirche ist laut Wolf zu hinterfragen: „Die katholische Kirche als absolute Monarchie ist eine Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts, die ihre Plausibilität unter den heutigen Bedingungen immer mehr verliert.“

Nun tut doch endlich mal etwas

Ein Buch, das den Leser trotz vieler historischer Fakten so manches mal ratlos zurücklässt. Ein Buch, bei dem man manchmal nur den Kopf schütteln kann über das Vorgehen in der Amtskirche. Ein Buch, das in einem die (flehentliche) Bitte erzeugt: Nun tut doch endlich mal etwas. Und ein Buch, auf das man gerne mal eine Antwort „der anderen Seite“, der Amtskirche, lesen würde. Wenn schon keine Aktion folgt, so wünscht man sich doch zumindest eine Reaktion auf die Argumente von Wolf. Das ist das Mindeste, was gläubige Katholiken erwarten dürfen. Das sollte auch das Bedürfnis eines jeden Bischofs sein, der es Ernst damit meint, zweifelnde Gläubige (wieder) vom Katholizismus zu überzeugen.

„Zölibat – 16 Thesen“
von Hubert Wolf
C.H.Beck Paperback
ISBN 978-3-406-74185-2
190 Seiten
14,95 Euro

Ein Interview mit Hubert Wolf zu seinem Buch findet sich in der Mediathek des ZDF (Stand: 20. November 2019).