„Franziskus von Assisi“ von André Vauchez

Wer war Franz von Assisi? An Antworten haben sich schon viele Historiker versucht – und sie fallen durchaus unterschiedlich aus. Die nun ins Deutsche übersetzte Biographie von André Vauchez über den heiligen Franziskus „Franziskus von Assisi. Geschichte und Erinnerung“ bündelt neuste Erkenntnisse und Studien und fesselt den Leser von Beginn an.

Eine Rezension von Tobias Rauser

„Franziskus von Assisi. Geschichte und Erinnerung“ von André Vauchez ist im Aschendorff-Verlag erschienen

Wer nach Material über Franz von Assisi sucht, der wird schnell fündig. Filme, Bücher, Schriften: alles verfügbar. Jede Veröffentlichung zeichnet ein eigenes Bild von Franziskus. Die Faszination ist groß, die Themen hoch aktuell, nicht erst seit ein Papst den Namen des Heiligen trägt. Doch was machte den Sohn eines Neureichen aus? Was war sein Charisma? Wie wirkte er in seiner Zeit? Und: Was ist sein Vermächtnis?

André Vauchez widmet sich in seiner 450 Seiten starken Biographie all diesen Fragen. Vauchez ist Professor für mittelalterliche Geschichte an der Pariser Universität X-Nanterre und Mitglied des Institut de France. Er will „Franziskus in dem entdecken, worin er sich von uns unterscheidet“. Und das gelingt: Franziskus wird nicht romantisiert, sondern sein Werk und Wirken in den Zusammenhang zu den gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen Italiens am Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhundert gesetzt.

Kontinuierlich und unangepasst

Der Biograph Vauchez untersucht die Quellen, bewertet sie, wo es sinnvoll ist, und überlässt doch dem Leser so manche Entscheidung. Ein Beispiel: Bei der Frage der oft diskutierten Stigmatisation von Franziskus nennt der Experte für mittelalterliche Religiosität die Quellen und Fakten – und schlägt sich damit auf keine Seite. Insgesamt wirkt das Franziskus-Bild des Biographen konsequent und nachvollziehbar. Und weniger radikal als in anderen Werken und eher von Kontinuität als von Brüchen geprägt.

Es geht dem Autor dabei nicht darum, den Heiligen den Themen und Anforderungen der Gegenwart anzupassen, ihn „akzeptabel und interessant“ zu machen. Er versucht – mit Abstand und Wohlwollen – den Menschen Franziskus nachzuzeichnen, der nicht vereinnahmt werden soll. Der Franziskus aus der Vauchez-Biographie ist kein Superheld. Sondern er ist ein Christ, der in seiner Zeit lebte, einen Neuaufbruch spürte und konsequent lebte.  

Religiöse und soziale Impulse

Dem Nachleben von Franziskus wird viel Platz eingeräumt, ein weiterer Vorzug dieser Biographie. Das Buch endet nicht mit dem Tod, sondern zeigt neben dem biographischen Profil auch auf, wie vielfältig die religiösen, sozialen und gesellschaftlichen Impulse sind. Insofern trügt der Untertitel „Geschichte und Erinnerung“ etwas, da der Teil der „Erinnerung“ hochaktuell ist und bis in die Gegenwart reicht.

„Franziskus von Assisi“ ist in vier Teile gegliedert. Teil eins beschäftigt sich mit dem biographischen Profil des Franziskus, also den Jahren 1882 bis 1226. Tod und Verklärung, also die Jahre 1226 bis 1253 sind die Schwerpunkte des zweiten Abschnittes. Dem dritten Teil über Bilder und Mythen vom Mittelalter bis heute folgt Part 4: „Die franziskanische Neuheit“.

Einstieg in die Welt des Franziskus

Die Lektüre dieses Werkes wird trotz des Umfanges nie langweilig, die Biographie ist auch für Nicht-Franziskus-Experten verständlich und immer nachvollziehbar. Der Leser bekommt sehr viel Wissen an die Hand, das sich durch die Einordnung in die damaligen Geschehnisse und Ereignisse gut verarbeiten lässt. Der Erzählstil ist angenehm. Es wird an jeder Stelle klar getrennt, wo der Autor Fakten darstellt und wo er sie bewertet und einordnet.

Die Biographie geht an vielen Stellen ins Detail – und doch hat der Leser am Ende noch Fragen. Das ist aber nicht dem Mangel an Informationen im Text, sondern schlicht und ergreifend dem faszinierenden und unglaublichen Charisma und Werdegang des Franziskus geschuldet. Man will – auch nach 450 Seiten – noch mehr erfahren. Und so wird dieses Meisterwerk, so umfassend es auch sein mag, für viele wohl nur der Einstieg in die Welt des Franziskus und seiner Orden sein.


Franziskus von Assisi
Geschichte und Erinnerung

André Vauchez
Aschendorff Verlag
ISBN 978-3-402-13244-9
453 Seiten, gebunden
Münster 2019