Thomas Ferencik ist Priester in der Katholischen Hochschulgemeinde in Hamburg. Der Franziskaner spricht mit Glaubenslektuere.de über Zweifel, Gespräche auf Augenhöhe und die schwierige Frage der Theodizee.
Das Interview führte Tobias Rauser
Pater Thomas, Sie haben ja in der Hochschulgemeinde viel mit jungen Menschen zu tun. Wie oft geht es in den Gesprächen um Zweifel an Gott?
Das Wort Zweifel trifft es meiner Meinung nach nicht richtig. Zweifel entsteht ja in der Regel durch das Vorhandensein mehrerer Ansichten und Meinungen bezüglich einer Gegebenheit, die hinterfragt wird. Oft scheint mir aber der Zweifelnde die möglichen Antworten nicht gleichwertig zu behandeln, sondern legt sich auf eine dieser fest. Die Aussage, dass jemand an Gott zweifelt, ist also meines Erachtens schon die letzte Stufe der Auseinandersetzung, einhergehend mit der Antwort, dass es Gott nicht gibt.
Ich mache in der Hochschulgemeinde die Erfahrung, dass es bei unseren Gesprächen weniger um eine ultimative Aussage von Sein oder Nichtsein geht, also existiert Gott oder nicht. Vielmehr erlebe ich fragende Menschen, die sich im Gespräch einer Wahrheit über Themen, die mit dem Glauben an Gott in Verbindung stehen, nähern wollen. Die Existenz Gottes wird in diesen Fällen also nicht grundsätzlich angezweifelt. Dennoch gibt es natürlich auch junge Menschen, wenn auch eher selten, die diesen ablehnenden Zweifel spüren. Ich erlebe Personen, die mir sagen: „Ich kann nicht mehr an Gott glauben“.
Wenn es eher selten um die grundsätzliche Frage nach der Existenz Gottes geht: Welche Themen bewegen junge Leuten in ihrer Auseinandersetzung mit Glaube, Kirche und Gott?
Es geht häufig darum, wie sich Gott in der Welt, der Kirche und im Alltag präsentiert. Also um ein Gottesbild, das zwar biblisch gesehen nicht erlaubt ist, dennoch aber für viele eine Art Fundament ihres Glaubens darstellt. Hierbei empfinde ich unsere Gespräche um so wichtiger, damit persönliche Gottesvorstellungen geerdet bleiben und nicht in irrationalen Spinnereien enden. Schließlich glauben wir ja an einen Gott, der gerade durch das Wirken Jesu gezeigt hat, dass er nicht irgendwo zu finden ist, sondern hier auf der Erde.
Was heißt das konkret?
Es geht um eine Präzisierung der Aussage „Gott existiert“. Um die Frage: Wie offenbart er sich in dieser Welt, in seiner Kirche und in meinem Alltag? Nicht selten geht es in den Gesprächen dann um Details, die von der Kirche oder Theologen angeboten werden. Vor einiger Zeit hatten wir zum Beispiel die Diskussion über die kirchliche Sicht bezüglich Ehe und Familie. Dazu gab es ja auch die Bischofskonferenz in Rom.
Aber es werden auch Fragen diskutiert, die sich mit Tod, Liebe, Sünde oder Gerechtigkeit und Frieden beschäftigen. Gerade Letzteres ist ja in unserer Zeit eine Kardinalsfrage: Wie gehen wir Christen mit den Flüchtlingen um? Wir stehen wir zu Waffenexporten, Kriegstreiberei oder dem Bestreben, Mauern zu bauen?
Ist das Studium eine besondere Zeit für solche Fragen?
Ja, natürlich. Nicht selten ist es für die Studierenden länger her, dass sie sich mit Glaubensinhalten befasst haben. Und in der Phase des Studiums, wo jeder in der Regel einen neuen und auch eigenständigen Lebensabschnitt beginnt, stellt sich dann die Frage, ob und wie der Glaube zum meinem neuen Lebensentwurf dazu gehören soll.
Wenn Sie mit diesen Fragen konfrontiert werden, haben Sie immer eine Antwort parat?
Zunächst versuche ich, einen Raum zu schaffen, in dem alles gedacht, gesagt oder angefragt werden kann. Die Achtung gegenüber einem Menschen beginnt ja im Gehirn. Eine Vorverurteilung auf Grund von persönlichen Ansichten wäre in meiner Position nicht nur eine autokratische, sondern auch einseitige Handlungsweise.
Fragen existieren, damit sie gestellt werden können. Und Antworten findet man, das ist meine Erfahrung, weniger mit der Haltung „ich sage dir mal, was richtig ist“, sondern im gemeinsamen Gespräch. Und in jedem Fall muss man sich eingestehen, dass auch die scheinbar plausibelste Antwort immer auch das Risiko der Falschheit in sich birgt – besonders in Fragen des Glaubens. Somit befindet sich der Zweifler mit dem, der ihm hilft, Antworten zu finden, auf einer Stufe. Der Fragende von heute kann morgen schon der sein, der mir Antworten gibt.
Hat Sie schon mal eine Person mit Ihren Fragen selber ins Zweifeln gebracht?
Nein. Dafür sorge ich in gewisser Hinsicht schon selbst, denn ein Glaubender ist immer auf dem Weg. Da ändern sich schon mal Glaubensansichten oder plötzlich entstehen Fragen, die man sich vorher nie gestellt hätte. Wer mit Gott unterwegs ist, muss sich auch auf Ungereimtheiten oder Unwägbarkeiten einlassen. In der Hochschulgemeinde haben wir ja auch immer wieder Referentinnen und Referenten zu theologischen Themen. Auf diesem Weg gelange ich zu meiner persönlichen ständigen Weiterbildung, die mir hilft, meine Glaubensfragen zu beantworten.
Diesen Weg gehen Sie ja als Franziskaner. Auch Ordensgründer Franziskus hat ja viel gezweifelt. Welche Rolle spielt Zweifel in Ihrem Glauben?
Wer mit Gott unterwegs ist, muss manchmal auch Umleitungen oder Richtungsänderungen in Kauf nehmen. Es mag Menschen geben, für die alles klar ist. Ich hingegen meine, dass es meinem Glauben gut tut, wenn ich ihn in Abständen hinterfrage. Der Glaube selbst ist ja nicht eine mathematische Gleichung, bei der das Ergebnis feststeht. Vielmehr ist mein Glaube eine Interaktion zwischen mir und Gott, zwischen mir und der Umwelt und zwischen mir und mir. Ganz nach der biblischen Aussage: Du sollst Gott lieben und du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst.
Glaube will reflektiert sein, um sich im Alltag beweisen zu können. Bei dem diese Reflexion ausfällt, der läuft Gefahr, weltfremd oder spirituell abgehoben zu sein. Am Beispiel von Franziskus sieht man ja sehr schön, welche Früchte seine Glaubensreflexion trug. Am Anfang war er der reiche Troubadour, später dann verkaufte er alles, um es den Armen zu geben.
Hat sich Ihr Umgang mit Zweifeln und dem Hinterfragen Ihres Glaubens im Laufe des Ordenslebens – auch durch das Älterwerden – verändert?
Auf jeden Fall. Geschuldet sind diese Veränderungen der schon erwähnten persönlichen Reflexion. Ich bin und sollte ein Christ sein, der nicht auf einer Insel lebt, sondern im Getriebe der Zeit seine Rolle aktiv zu spielen hat. Ich schätze mal, dass ich, als ich in den Orden eintrat, ein wenig spirituell naiv war – andere würden vielleicht auch sagen: sehr fromm. Heute kann ich sagen, dass durch die Interaktion mit meiner Umwelt auch irdische Aspekte im Lichte des Glaubens eine gewichtige Rolle spielen. Wo wir zum Beispiel früher noch von Klöstern sprachen, besitzen wir heute Fraternitäten, die in Häusern leben. Für uns gibt es also nicht mehr den abgegrenzten mit einer Mauer umgebenen Raum, sondern ein Leben unter und mit den Menschen.
Mit dem Älterwerden hat das jedoch meiner Meinung nach wenig zu tun. Im Gegenteil: Das Älterwerden birgt die Gefahr, alles bewahren zu wollen. Der Hang zum Konservativen, mit dem Motto „früher war alles besser“, wird dann noch genährt durch die schlechte Angewohnheit einer falsch verstandenen Gelassenheit. Leider gilt das oft auch für jüngere Menschen, aus welchen Gründen auch immer.
Teil des Ordenslebens sind ja auch Regeln, etwa Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. Haben Sie schon mal an der Sinnhaftigkeit dieser Regeln gezweifelt?
Zur Reflexion des Glaubens und des Ordenslebens gehören natürlich auch die Regeln wie Armut, ehelose Keuschheit und Gehorsam, aber auch andere strukturelle Vorgaben. Und aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass so eine Reflexion nicht theoretischer Natur ist, sondern sie drängt sich förmlich auf, wenn man mit einzelnen Regeln oder Vorgaben konfrontiert wird. Und natürlich stellt sich dann auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit.
Aber es geht es nicht darum, an diesen Regeln mit der Intention einer Ablehnung zu zweifeln. Sondern ich hinterfrage sie wohlwollend. Was bedeutet etwa Armut, ehelose Keuschheit und Gehorsam heute? Wie kann ich diese sinnvoll und vernünftig umsetzen, ohne gleich in liberale Fluchttendenzen zu verfallen? Und welchen Sinn könnten sie heute haben? Ein solcher Diskurs kann natürlich zu einer Änderung oder gar Abschaffung führen, aber nicht aus ideologischen Gründen oder einseitigen Entscheidungen, sondern aus Gründen der Vernunft.
Zum Schluss noch eine Frage, die für viele ja der Ursprung von Zweifeln an der Existenz Gottes ist: die Existenz von Leiden in der Welt, die Frage der Theodizee. Sie sagen, die „Freiheit“ sei der einzige Weg, dies zu begreifen. Was meinen Sie damit?
Die Theodizeefrage stellt für viele eine Herausforderung dar. Es gibt verschiedene Wege, diese Frage zu beantworten. Warum lässt Gott Leid zu? Einige begründen dies zum Beispiel mit dem Akt der Bestrafung, andere hingegen sehen das Leid als ein Werk des Teufels oder des Satans.
Welche Art von Antwort man auch immer gibt, sie wird das Geheimnis nicht vollends lösen. Das ist in Glaubensfragen auch nichts Besonderes, da wir sonst ja von Wissen und nicht von Glauben reden würden.
Nun gibt es aber auch noch einen evolutiven Ansatz, den man diskutieren kann: Gott erschafft die Welt und sagt schließlich: „Macht euch die Erde untertan.“ Er schenkt also dem Menschen beziehungsweise der gesamten Schöpfung eine Freiheit, sich zu entfalten, kreativ zu werden oder sich in sozialen Strukturen zu üben. Das würde dann bedeuten, dass vieles Leid aus der Koinzidenz verschiedener Faktoren entsteht, die durch das freiheitliche Handeln von Menschen oder anderen Geschöpfen in Abhängigkeit von Raum und Zeit hervorgerufen werden. Ein Mensch entscheidet sich dann in Freiheit zwischen Krieg und Frieden. Ein anderer Mensch geht schlichtweg zur falschen Zeit über die falsche Straße und wird von einem anderen Menschen, der sich in Freiheit entschieden hat, ein Auto zu steuern, angefahren.
Aber es gibt doch auch Leid, das etwa durch Naturkatastrophen hervorgerufen wird?
Ja, das ist eine Frage, die bei dieser Argumentation immer aufkommt: Kann man Erdbeben oder andere Naturkatastrophen mit dem Hinweis auf die Freiheit begründen? Wenn ich an die Evolution denke, an das Werden des Kosmos oder der Erde, sehe ich doch eine gewisse Zufälligkeit in den Ereignissen. Ich könnte also mit dieser Beobachtung die Frage stellen, ob Gott nicht nur dem Menschen die Freiheit gegeben hat, sondern der gesamten Schöpfung. Der Heilige Franziskus nennt die Sonne Schwester Sonne und den Mond Bruder Mond. Dieser universale Schöpfungsgedanke würde durch die Personalisierung den Aspekt der geschenkten Freiheit für die ganze Schöpfung nur unterstreichen.
Naturkatastrophen, mal abgesehen von den von Menschenhand verursachten, weisen auf ein Leben zwar nicht im biologischem Sinn, doch im Sinne von „da bewegt sich, entwickelt sich, geschieht etwas“. Und vielleicht muss man sich auch vergegenwärtigen, dass alle Veränderungen und Geschehnisse in der Natur oder im Kosmos ein Teil unseres Lebens sind. Wir sind Teil des Universums. Wir haben ja „Leben“ eindeutig definiert. Aber wie wäre es, wenn wir „Leben“ weiterfassen würden? In verschiedenen Ländern redet man von „Mutter Erde“. Oder denken wir an die Mythologie, in der Naturelemente durch Gottheiten personifiziert wurden. Der Gedanke, dass auch scheinbar Lebloses Leben in sich birgt, gefällt mir. Und eine auf diesen Ausführungen basierende Logik wäre dann, in der Präambel der Verfassung zu schreiben: Der Würde und Freiheit der gesamten Schöpfung ist verantwortungsvoll und mit Respekt zu begegnen.
Wo bleibt da die Allmacht Gottes?
Ein berechtigter Einwand. Wenn die Schöpfung in ihrer Freiheit eigenständig agiert, würde das nicht bedeuten, die Allmacht Gottes einzuschränken? Ich denke nicht. Einerseits hat Gott uns die Freiheit geschenkt, somit also die Schöpfung selbst zum Ebenbild mit Verantwortung erhoben. Andererseits begründet sich ja unsere Freiheit in der Freiheit Gottes. Und diese ihm eigene und ursprüngliche Freiheit kann er durchaus nutzen, um in und mit seiner Schöpfung zu wirken. Nicht als Weltpolizist oder gar jemand, der uns die Verantwortung abnimmt, sondern als jemand, der aus Liebe seine Schöpfung begleitet. Vielleicht wie Eltern ihre Kinder nach dem Abnabelungsprozess.
Ich muss also nicht gleich die Existenz Gottes anzweifeln, wenn ich Leid wahrnehme. Im Vertrauen auf Gott bleibt mir als Glaubendem immer auch das Gebet. Ein Gebet, das zwar Gottes freiheitliches Handeln voraussetzt, aber schließlich auch von der Hoffnung getragen ist, dass Gott aus Liebe zu seiner Schöpfung das Leid abwendet.
Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Thomas Ferencik hat eine eigene Website – einfach hier klicken.