Wie tickt der Papst und warum ist er so, wie er ist? Der Jesuit Stefan Kiechle versucht sich in seinem Buch „Grenzen überschreiten, Papst Franziskus und seine jesuitischen Wurzeln“ an einer Analyse seines Mitbruders.
Eine Rezension von Michael Cordes
Papst Franziskus hat eine herausragende Stellung. Nicht nur innerhalb der katholischen Kirche, sondern auch im Vergleich zu anderen großen Ämtern wie Staatspräsidenten, Unternehmenschefs oder Spitzenmanagern.
So ist er so gut wie keiner Kontrolle unterworfen. Zumindest dringt davon nicht viel in die Öffentlichkeit. Abgewählt werden kann er nicht, entlassen werden auch nicht (höchstens von sich selbst). Und während man beispielsweise Angela Merkel immer wieder in Interviews, Reden oder Pressekonferenzen erlebt und daher mittlerweile eine leise Ahnung hat, was die Bundeskanzlerin so denkt, wirkt im Vergleich dazu der Papst wie ein Buch mit sieben Siegeln.
Daraus resultiert, dass es ein großes Bedürfnis nicht nur unter den Katholiken gibt, zu erfahren, wer denn dieser Papst überhaupt ist und wie er tickt. Erst recht, wenn er sich so vollkommen anders wie seine Vorgänger gibt. Wenn er mit seinen Äußerungen kein Blatt vor dem Mund nimmt. „Die Wirtschaft tötet“ ist so ein Ausspruch. Den Mitarbeitern der Kurie „geistliches Alzheimer“ vorzuhalten – und das auch noch vor Vatikanmitarbeitern bei einem Weihnachtsempfang – ist ein weiteres überraschendes „Bonmots“ von Franziskus.
Kein Wunder, dass Papst-Bücher daher auf starke Beachtung stoßen. Das 2015 erschienene Büchlein von Stefan Kiechle ist da eher eine Ausnahme, weil es in einem kleinen Verlag erschienen ist – dem Echter-Verlag – der nicht über die Werbemittel verfügt wie die großen (kirchlichen) Verlage.
Das ist bedauerlich. Denn Kiechle, bis Anfang Juni der Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten, versucht Papst Franziskus über seine Herkunft zu erklären, wie sehr der jesuitische Orden den Papst geprägt hat. Sich dem Papst so zu nähern, ist sicher keine schlechte Idee. Prägt doch ein solcher Orden einen Pater enorm. Als Jesuit beruht Kiechles Analyse somit auf Kenntnissen, die anderen Papst-Biographen fehlen.
„Ich bin ein Sünder“
In seinem Buch befasst sich Kiechle unter anderem mit der freimütigen Einschätzung des Papstes zu sich selbst, die in dem Ausspruch mündet: „Ich bin ein Sünder.“ Ein Satz, mit der „Die Zeit“ im Papst-Interview groß auf ihrer Titelseite aufgemacht hat, den Franziskus jedoch schon Jahre vorher gesagt hat. Indem der Papst seine Fehler sieht und zugibt, werde er menschlich und glaubwürdig, schreibt Kiechle und fährt fort: „Und der moralische Appell an die Umkehr vor allem des Klerus kann nur bestehen, wenn der Moralapostel selbst demütig ist.“
Eine andere Bemerkung des Papstes, die auch beim Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo auf Erstaunen stößt, ist die zum Teufel. Der Papst stellt sich den Teufel als reale Figur vor. Kiechle geht gleichfalls auf die Einschätzung des Papstes ein. Er zieht eine Verbindung zu der „Unterscheidung der Geister“, die in den jesuitischen Exerzitien eine zentrale Rolle spielen. Zu unterscheiden, was die guten und bösen Geister sind, sei ein erster Schritt in den Exerzitien. Der Versuchung zu widersagen, den bösen Geistern zu unterliegen, folgt dann als zweites. „In der Praxis der Unterscheidung der Geister will man das Falsche und Böse in seiner Energie und Gewalt erkennen, ja in seiner Verborgenheit aufdecken, im eigenen Herzen, in Gemeinschaften, in sozialen Strukturen, und man will es bekämpfen“, heißt es in dem Buch weiter.
Kiechle wartet in dem kleinen Büchlein nicht mit völlig neuen Erkenntnissen auf. Das liegt auch daran, dass er nicht mit Papst Franziskus gesprochen hat. Deshalb stellt er immer wieder Vermutungen an, bleibt mit mancher Aussage im Wagen und damit an der Oberfläche, wo man sich als Leser natürlich gerne genauere, tiefergehende Analysen wünschen würde (zum Beispiel zu der umstrittenen Rolle von Franziskus als Bischof in Argentinien zur Zeit des Militärputsches).
Aber der Papst ist halt nicht Merkel. Dieser Verschlossenheit der katholischen Kirche kann sich auch Kiechle nicht entziehen.
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